Ihr da oben, wir da unten…

Die Franzosen haben die Nase gestrichen voll von einem Politiksystem, das von Apparatschiks und einer allgemeinen Lähmung geprägt ist. Nun kommt die Antwort.

Unter diesem Titel organisieren sich gerade die "kleinen" Parteien, um einen gemeinsamen Kandidaten in die Präsidentschaftswahl 2017 zu schicken. Foto: La Primaire des Français

(KL) – Nein, das Gefühl, dass es so nicht weitergeht, ist keine Exklusivität der Bewegung „Nuit debout“ in Frankreich – inzwischen hat die Ablehnung des Zweiparteiensystems der V. Republik fast alle Bevölkerungsschichten erreicht. Rund 80 % der Franzosen wünschen sich eine Art Runderneuerung des politischen Systems und vor allem eine Ablösung der ewig gleichen Personen, die das Land seit Jahrzehnten gemeinsam und abwechselnd von einer Krise in die nächste führen.

Die politische Bewegungslosigkeit basiert auf dem französischen Wahlsystem, das so ausgelegt ist, dass außer den „Rechten“ und den „Linken“ kaum eine politische Kraft die Möglichkeit hat, in den politischen Diskurs einzugreifen. Die Rechtsextremen des Front National haben fast drei Jahrzehnte langen Atem bewiesen, bevor sie sich ein Plätzchen in der französischen Parteienlandschaft erobern konnten, was den Grünen (EELV) in Frankreich nie so richtig gelungen ist.

Das Direktwahlsystem ist hochgradig schädlich für eine lebendige Demokratie – das politische Frankreich ist im vergangenen Jahrhundert stehen geblieben, was man unter anderem daran erkennt, mit welchem Pomp und Aufwand das Konzept „Macht“ in Frankreich zelebriert wird. Doch nun kommt Bewegung ins politische Frankreich, und zwar auf allen Ebenen.

Laut aktuellen Umfragen lehnen inzwischen 80 % (!) das aktuelle Parteiensystem ab und ebenso viele Menschen wollen endlich neue Gesichter in der Politik sehen. Denn inzwischen ist es so, dass bei jeder Kabinettsvorstellung der erste, heimliche Gedanke ist „was, der lebt noch?“ – und dass die ewig gleichen Politik-Dinos inzwischen nicht mehr als Hoffnungsträger verkauft werden können, das haben alle Franzosen gemerkt. Nur die politischen Parteien nicht. Die machen nämlich weiter, als ob nicht das ganze Land gerade brodeln würde wie ein Schnellkochtopf.

Klar, die breiteste politische Debatte hat die Bewegung „Nuit debout“ ausgelöst, doch auch andere engagierte Menschen organisieren sich. Es wirkt wie eine politische Götterdämmerung in Frankreich und es gibt wohl keinen Weg zurück ins „Business as Usual“, das sich Konservative und Sozialisten so sehnlich herbei wünschen.

Mehrere kleinere Parteien haben sich nun ebenfalls zusammengeschlossen und lancieren gemeinsam eine „Vorwahl“, bei der ein Kandidat oder eine Kandidatin festgelegt werden soll, der stellvertretend für diese kleinen Parteien bei der Präsidentschaftswahl 2017 antreten soll. Bei diesen Parteien handelt es sich um die „Génération Citoyens“, die ökologische Partei „Cap 21-LRC“, „Nous Citoyens“, „La Transition“, „Bleu Blanc Zèbre“ und „Le Pacte Civique“. Dies ist die Antwort auf das geradezu jämmerliche neue Wahlgesetz, mit dem die beiden ehemaligen Volksparteien versuchen, sich krampfhaft an ihrer bipolaren Sicht der französischen Politik der V. Republik festzuklammern.

Die V. Republik haucht gerade ihre Seele aus – und es wird tatsächlich Zeit, dass sich das Land politisch von Grund auf reformiert. Demokratie lebt von Meinungsvielfalt und der sachlichen politischen Debatte, die in Frankreich praktisch nicht stattfindet – stattdessen sind „Machthaber“ mit fast unbegrenzten Kompetenzen ausgestattet, die Opposition findet im Grunde nicht statt.

Und weil gerade ganz Frankreich in Bewegung ist, hat auch gleich Wirtschaftsminister Emmanuel Macron eine neue Partei gegründet, „En marche“ (Auf geht’s), doch wird diese Partei eigentlich nur als der Versuch der Sozialisten gewertet, zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Denn Macron hat diese neue Partei, die angeblich „nicht links und nicht rechts“ ist, mit ziemlicher Sicherheit nicht ohne das Plazet seiner Parteioberen gegründet. Sonst wäre er nämlich hochkant aus der Regierung geflogen.

Wie erfolgreich die kleinen Parteien bei ihrem Versuch der Veränderung sein werden, muss man abwarten. Aber eines ist bereits heute klar – ganz Frankreich ist in Bewegung, ganz Frankreich steht das aktuelle System bis ganz oben. Was dann eigentlich Grund genug wäre, wirklich Dinge zu verändern.

Infos zu der Initiative der kleinen Parteien finden Sie, wenn Sie HIER KLICKEN!

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