Komponieren nach Zahlen: Berg, Schönberg und Zarathustra – Konzert der OPS

Alban Berg komponierte nach seiner Zahlenmystik, Arnold Schönberg löste sich von der strengen Musikmathematik und vom Berg hinab in den Konzertsaal ließ Richard Strauss seinen Zarathustra steigen - alles am Donnerstag bei der Straßburger Philharmonikern

Nach diesen Noten geht hinter dem Mond und der Erde die Sonne auf - zumindest bei der Odyssee im Weltraum von Stanley Kubrick. Für ihren Komponisten Richard Strauss erwacht Zarathustra und liest den Menschen die Leviten. Und Konzertbesucher spitzen die Ohren. Foto: Michael Magercord

(Michael Magercord) – Musik ist Mathematik, Harmonie ist höhere Mathematik, moderne Musik ist Algebra. Und Neue Musik geht wieder zurück in der Zahlenmystik. Jedenfalls, wenn man die Entwicklung an den drei Komponisten festmacht, deren Werke am Donnerstag in Straßburg zu hören sein werden.

Richard Strauss war als Künstler ganz Philosoph seiner Zeit. Friedrich Nietzsches „Zarathustra“ aus dem verschollenen antiken Morgenland war auch ihm ein Wegweiser in den Zeiten einer langsam verdämmernden Religionsgewissheit. Als Komponist war er in seinen ersten Jahren noch in der überlieferten Harmonik zu Hause. Und so tritt sein Zarathustra am Ende des 19. Jahrhunderts mit einer der vermutlich bekanntesten Tonfolgen der modernen klassischen Musik von seinem Emeritenberg in den Konzertsaal: C – g – c. Diese Notenfolge ist ebenso schlicht wie beeindruckend, dass auch bei der für das Jahr 2001 angesetzten „Odyssee im Weltraum“ von Stanley Kubrick nach ihr die Sonne aufgeht.

Für Richard Strauss steht im Hintergrund die Philosophie des Namensgeber seiner symphonischen Dichtung. Das Ringen zwischen Religion, Fortschritt und der Wiederkehr des ewig Gleichen, was sich auch als Natur bezeichnen ließe, sollte sich in seiner Musik widerspiegeln. Dass dabei die Gefühlswelten zwischen Aufbruch, Überdruss und Sehnsucht in ziemliche Wallungen geraten, ist nur natürlich – und fast ebenso, dass sich an einer hochmodernen, von aller Harmonik losgelösten Zwölftonreihe der Zusammenbruch des am hinterwäldnerischen Menschen verzweifelten Weisen vollzieht. Aber schließlich die Genesungsszene mit der einleitenden Tonfolge: Die finale Wiederkehr des Gleichen in der Musik ist das Heilmittel gegen die Verzweiflung des Philosophen.

Nur gut zehn Jahre später erklang die Kammersymphonie von Arnold Schönberg zum ersten Mal. Das Werk deutet bereits die ganze folgende Entwicklung der neuen Musik zur Atonalität an. Noch ist es nicht so weit, doch wird das Solo-Motiv des Horns als „Fanfare der Moderne“ in die Musikgeschichte eingehen. Für die Musikmathematiker nur soviel: Ein aufsteigender fünfstufiger Quartenakkord bläst zur Neuen Musik. Der Komponist rechnete gar nicht unbedingt mit einem Publikumserfolg, sondern sah seine musikalische Rolle als Problemlöser: Kein Dur und kein Moll mehr, sondern freie Notenreihen sollen den Ton angeben. Befreit wovon?, könnte man fragen. Von den Zwängen der Harmonie? Freiheit wofür?, könnte man ebenso fragen. Zur Disharmonie oder doch eher zur notwendigen Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten der Musik in immer uneindeutigeren Zeiten? Auf jeden Fall zu Neuerungen: Denn Quartenakkorde werden die Grundlage nicht nur der Neuen Musik, sondern ebenso des Jazz.

Der bedeutendste Schüler Schönbergs, Alban Berg, wird 1935 einen weiteren Schritt auf dem Weg zum immer persönlicheren und inwendigen Komponieren vollziehen. Sein Violinkonzert, das zum Tode der Tochter von Alma Mahler und Walter Gropius geschrieben wurde, erschließt sich durch eine tiefe Zahlenmystik. Manon Gropius starb am 22. April, und somit zieht sich diese Zahl durch das gesamte Werk. Der zitierte Bach-Choral „Herr nimm meinen Geist“ im Takt 222 enthält 22 statt 20 Takte, der Totentanz wird durch eine 22-taktige Tango-Kadenz angezeigt, die Widmung enthält 22 Buchstaben: „Dem Andenken eines Engels“.

Das Werk kann aber auch als Gedenken an den Komponisten selbst gehört werden, war es doch die letzte Komposition von Alban Berg. Er verstarb noch vor der Uraufführung. Doch nicht nur dieser Umstand macht das knapp halbstündige Stück zu einem der ergreifendsten Geigenstücke der Moderne: Seine Mystik erschließt sich dem Zuhörer auch ganz ohne das Wissen um Zahlen, so wie die Musik fern der Mathematik ihre Kraft entfaltet.

Konzert der Straßburger Philharmonie OPS

Arnold Schönberg – Kammersymphonie Nr. 1
Alban Berg – Violinkonzert
Richard Strauss – „Also sprach Zarathustra“

Dirgent: Aziz Shokhakimov
Geige: Gil Shaham

Palais de la Musique et des Congrès

DO, 11. Januar, 20 Uhr

Infos und Tickets gibt es HIER!

Konferenz vor dem Konzert (auf Französisch)

Étienne Ferrer über die philosophischen Möglichkeiten der Musik beim „Zarathustra“

19 Uhr im Marie-Jaëll-Saal im PMC, Eintritt frei

Folgendes Konzert der OPS:

Rachmaninows 3. Klavierkonzert, Josef Suk und „Feuervogel“ von Strawinsky

Sänger und Chor der Philharmonie

FR, 19. Januar

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