Lieblos aus Liebe – „La Calisto“ in der Rheinoper

Der römische Dichter Ovid wusste es bereits vor rund 2000 Jahren: vor lauter Liebe lieblos zu sein, ist die Liebe der Götter. Vor 300 Jahren versetzte der italienische Komponist Francesco Cavalli die lieblose Liebesraserei des Gottes Jupiters ins Musiktheater. Und ab Mittwoch wird in Straßburg zu sehen und zu hören sein, wie Mariame Clément den göttlichen Liebeshändel in Szene gesetzt hat.

Kaum entdeckt Jupiter die schöne Kallisto, geht der Stress schon los... Foto: Nicolaes Berchem 1656

(Von Michael Magercord) – Wen die Götter lieben, dem gnade Gott. Mit ihrer Zuneigung stellen die Götter immer auch die Machtfrage. Ein Gott liebt zuallererst zu sich selbst, das Objekt seiner Liebe hat ihm ergeben zu sein. Nur ihm allein natürlich, neben sich duldet er keinen Buhler und wird sich mit all seiner göttlichen Wunderkraft durchsetzen wollen. Und selbst, wenn seine Liebe nicht erwidert wird, setzt er sich über die Gefühle der Umworbenen eiskalt hinweg. Götter haben nun einmal eine narzisstische Störung – oder sollte man besser sagen: sie sind die narzisstische Störung?

Jupiter also, der oberste Gott und somit Liebhaber des Himmels, hat sich in die Nymphe Kallisto, „die Schönste“, verknallt. Die ist allerdings der Keuschheit verpflichtet, doch in der Gestalt der Diana, der Chefnymphe, wird Kallisto von Jupiter verführt und daraufhin auch noch schwanger, woraufhin wiederum Jupiters Frau Juno Kallisto und ihren Sohn in zwei Bären verwandelt – kurz: Alltag in der Götterwelt, und darin ähnelt die Liebe eher einer lieblosen Raserei, als irgendetwas, worin hehre Gefühle eine Rolle spielen. Jedenfalls dann, wenn man der Dichtung des römischen Poeten und Lebemannes Ovid glauben darf. Darf man aber wohl, denn auch seine Verse sind ebenso unsterblich, wie der ganze Katalog der göttlichen und halbgöttlichen Wesen, die darin auftauchen: Satyrn, Nymphen und Chimären.

Dieser Dichter muss es nämlich wissen, denn auch er wurde vom göttlichen Augustus, der den Poeten zwar hochschätzte, ins Exil verbannt, und aller Wahrscheinlichkeit nach wegen eines Liebeshändels um die Enkelin des Kaisers. Schrieb Ovid also immer nur seine eigene Geschichte, als er seine „Metamorphosen“ mit den heißesten Storys aus der griechischen und römischen Götterwelt aufzeichnete? Wie auch immer, in seinen „Verwandlungen“ traten noch echte, unverstellte Götter auf, Götter voller Lebens- und Tatendrang – und voller Liebe eben. Neuzeitliche Götter sind hingegen keine handelnden Personen mehr. Handeln auf Erden tun in deren Namen dann nur noch ihre gläubigen Halbgötter und die sich dafür halten. Und sie lieben sich natürlich auch untereinander, diese Menschenskinder, was sich in ihren irdischen Gefilden oft mindestens genauso kompliziert ausgestaltet wie in halbhimmlischen Sphären.

Wäre es nicht so, dann hätte sich der italienische Barockkomponist Calvalli wohl kaum diesen fernen Figuren gewidmet. Menschen liegen uns nun einmal näher, als alte Götter. Die übernehmen zwar in seinen vielen Opern, von denen jedes Jahr eine neue auf die venezianischen Bühnen kam, die tragenden Rollen, aber nur um den ganzen Katalog der menschlichen Liebe zu verkörpern: fleischliche Liebe, keusche Liebe, glückliche Liebe, unglückliche Liebe, freudige Liebe, sehnsüchtige Liebe, treue Liebe, perfide Liebe, flüchtige Liebe, eheliche Liebe, homosexuelle Liebe, platonische Liebe und eben auch die gewalttätige Liebe.

So jedenfalls liest sich die Liebesliste, die laut Mariam Clément von ihrer Neuproduktion der Kallisto in der Rheinoper von Straßburg von diesem Werk aufgestellt wird. Ob sie diesen Katalog in ihrer Inszenierung abarbeiten wird? Erfahren in Liebesdingen ist die junge Regisseurin ja, zumindest wenn es darum geht, deren Händel auf die Straßburger Bühne zu bringen. Das für Opernregisseure arg verzwickte „Liebesverbot“ des doch sonst so tief gesonnenen Richard Wagner, wusste sie nämlich schon in der vergangenen Spielzeit in grandioser Leichtigkeit auszuhebeln.

Bei der Inszenierung von Barockopern, die in der Rheinoper eher selten zu sehen sind, muss es – oder sollte es zumindest – immer auch darum gehen, ihren ursprünglichen Zauber zu bewahren, als ihn – wie leider viel zu oft jenseits des Rheins – zu konterkarieren. Doch darf man bei Mariam Clément hoffen, dass der ganze Katalog der Imaginationen, Fantastereien und der Poesie, der sich aus dem Wechselspiel der Träume des einen und den Fantasmen der anderen speist, an diesem Opernabend aufgeschlagen wird. Und vielleicht schaut man danach auch mit einen ganz anderen Blick in den Nachthimmel, leuchten doch die Nymphe Kallisto und ihr Sohn Arkas auf Jupiters Geheiß als helle Sterne des Großen und des Kleinen Bären für immerdar über uns.

Francesco Cavalli : La Calisto

Musikdrama in drei Akten nach einem Libretto von Giovanni Faustini
Dirgent : Christophe Rousset
Regie : Mariame Clément

Straßburg – Opéra
MI 26. April, 20.00 Uhr
FR 28. April, 20.00 Uhr
SO 30. April, 15.00 Uhr
DI 2. Mai, 20.00 Uhr
DO 4. Mai, 20.00 Uhr

Mulhouse – La Sinne
FR 12. Mai, 20.00 Uhr
SO 14. Mai, 15.00 Uhr

Konferenz mit Christophe Rousset, Mariame Clément und Vivica Genaux
(in französischer Sprache)
Straßburg, Buchhandlung „Librairie Kléber“
DI 25. April, 18.00 Uhr

Informationen und Tickets : www.operanationaldurhin.eu

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