Lohengrin zum Zweiten – und Letzten? Wagner in der Rheinoper

Richard Wagner ist in der Rheinoper ein gern gesehener Gast. Ihr ehemaliger Direktor Marc Clemeur drückte es im Interview mit Eurojournalist(e) einmal so aus: „Im Elsass ist der Geschmack noch sehr germanisch“. Ab Sonntag bittet „Lohengrin“ die Straßburger zum viereinhalbstündigen Stelldichein mit ihrer zweiten Natur.

Architektur und Musik, eine unabdingbare Einheit nur für Ritter? Die bekannteste Burg der Welt, Schloss Neuschwanstein, wurde nach den Anweisungen von Richard Wagner für die Gestaltung des Bühnenbilds seiner Oper Lohengrin entworfen. Foto: Illustration von Paul Lanners, OnR

(Michael Magercord) – Bei der letzten Opernaufführung, die vor einem guten Monat im pittoresken Rund der Rheinoper geboten wurde, schwebte im Hintergrund ihre wirtschaftliche Geschichte im Wettbewerb mit der Konkurrenz in London. Wenn nun Richard Wagners Großwerk Lohengrin mit dem Aufgebot von gestandenen Gesangsheroen und zwei Chören auf der Bühne des opulenten Saales ansteht, schwelt dahinter immer die Frage, wie lange es noch möglich sein wird, dem Publikum derartige Spektakel bieten zu können. Denn ja, der Oper geht es ans Eingemachte, nämlich an die Finanzen. Die kommen heutzutage ja meist aus öffentlichen Kassen, welche sich bekanntermaßen zunehmend leeren.

Telerama“, die gewichtigste Kino-, TV- und Kulturzeitschrift Frankreichs, schlug letzte Woche Alarm: Zwar erlebten die Opern in Paris gerade Höhenflüge, doch den Häusern in der sogenannten Provinz ginge es zunehmend an den Kragen. Dort fehlt die zahlungskräftige Laufkundschaft aus aller Welt, die bereit ist, 220 Euro für einen unvergesslichen Abend auszugeben. Das treue Stammpublikum in den Mittelstädten und ihrer näheren Umgebung allein genügt nicht, die stark gestiegenen Kosten eines großen Hauses aufzufangen. Diese Provinz-Opern, die künstlerisch überhaupt nicht provinziell sind, finden sich im Paradox wieder, dass sie mit jeder ausverkauften Vorstellung viel Geld verlieren. Konsequenz der Etatkürzungen: weniger Opern und weniger Darbietungen. So auch in Straßburg, wo die aufwendige Neuproduktion des Lohengrin im März nur fünfmal zu hören und zu sehen sein wird, obwohl sich das schöne Haus wohl noch weitere fünf Male würde füllen lassen.

Somit könnte die erste Aufführung seit dreißig Jahren von Richard Wagners letzten der großen von ihm selbst als „romantisch“ bezeichneten Opern in Straßburg auch eine der letzten Großopern überhaupt sein. Denn dieses Meisterwerk der Tonkunst erfordert nicht nur Sitzfleisch von den Zuschauern, sondern ebenso ein Aufgebot von besten Sängern aller Tonlagen, ein großes Orchester und zwei Chöre.

Wie oft man sich im Elsass diesen Aufwand noch leisten werden können? Zumal ja ab 2026 auch noch das Opernhaus wegen Renovierungsarbeiten geschlossen ist und in der Zwischenzeit auf unterschiedliche, in der Regel auch kleinere Spielstätten ausgewichen werden muss. Bislang sind drei Jahre für den Umbau eingeplant, die Erfahrungen mit derartigen Zeitplänen raten allerdings schon jetzt zu weit mehr Geduld. Und zudem wissen wir immer noch nicht, welche Gestalt der Zuschauerraum hernach annehmen wird. Die viel gescholtenen Sitze sollen bequemer werden, doch die vom Interieur ausgehende Atmosphäre dürfte wohl eine andere werden, wenn sich dafür der ach so moderne Beton – wie von der zuständigen Kommunalbehörde angedacht – durchsetzen würde. Ob es sich in den geweiteten Sesseln dann noch „romantisch“ anfühlt, selbst wenn es auf der Opernbühne „romantisch“ zugehen sollte?

Wer nach all den oben geschilderten finanziellen Widrigkeiten des heutigen Opernlebens jetzt bei sich gedacht hatte: Oper ist doch sowieso bloß eine elitäre Geldfressmaschine, den sollte man daran erinnern, dass ein Ticket für Konzerte der Heroen des subversiven antikapitalistischen Protestrocks, wie etwa von Neil Young oder Bruce Springsteen, schon mal locker 200 Dollar kostet. Da gibt es dann keine günstigen Galerieränge oder Studententarife von 6 Euro selbst für beste Plätze wie in der Straßburger Oper oder der hiesigen Philharmonie.

Glücklich dürfen sich also jene schätzen, die noch eine Karte für den mittlerweile ausverkauften Lohengrin ergattern konnten und somit diese, nennen wir sie mal „vorletzte“ Gelegenheit beim Schopfe packen, sich in Straßburgs erstem Musensaal unter den betörenden Klängen eines Richard Wagners von Rittern, Jungfrauen und Schwänen in die Welt der mittelalterlichen Graals-Erzählung ziehen zu lassen. Wer nun schon spottet „ach wie germanisch“, der sollte wissen, dass sich der Komponist in Paris von diesem Stoff hat inspirieren lassen. Und den Einfluss, den Wagners klangliche Wucht auf das literarische Schaffen der französischen Literatur ausübte, kann man gar nicht überschätzen. Dichter und Romancier Paul Valéry bekannte in Anbetracht der Höhen der Tiefe im Lohengrin fast schon hilflos: „Diese Musik wird mich noch dazu bringen, nicht mehr zu schreiben. Welche geschriebene Seite reicht an die Höhe der wenigen Noten heran, die das Graalsmotiv bilden?“

Leichtfertig jedenfalls sollte man gerade im Zeitalter von TikTok und Co. nicht den Anspruch aufgeben, dass Kultur sich gerne auch einmal in höhere Sphären strecken darf, ohne sich gleich als elitär schelten lassen zu müssen. Und vielleicht hilft es den verantwortlichen Kulturplanern, sich ab und zu ein Bonmot zur Kulturpolitik aus der legendären englischen TV-Serie „Yes Primeminister“ wachzurufen, das sich für Straßburger eigentlich von ganz allein verstehen sollte: Niemand gehe mehr sonntags in die Kirche, trotzdem erlaben sich selbst die nichtgläubigen Bewohner der Stadt an jener besonderen Erhabenheit der Kathedralen, die auch ihnen ein höheres Selbstbewusstsein beschert. Kaum anders verhält es sich in der postreligiösen Welt mit den Tempelstätten des Bürgertums, den reichlich ausgeschmückten Konzert- und Opernsälen des 19. Jahrhunderts. Erhabene Kultur und ihre entsprechende Architektur sind kaum voneinander zu trennen.

Das bürgerliche Sitzfleisch, welches sich viereinhalb Stunden in die beengten Plüschsessel quälen wird, leistet also einen großen Dienst an der Gemeinschaft. Schade allerdings, dass die willigen Hintern dieser Gelegenheit zur guten Tat zunehmend beraubt werden sollen, egal, ob durch immer weitere Einschränkungen des Angebots oder schlimmer noch: die politisch gewollte Zerstörung der angemessenen Orte der Ausübung ihrer gemeinschaftsstiftenden Anstregung. Drum lasst uns für diesen Lohengrin nun noch einmal kräftig die Backen zusammenkneifen und ins Werk setzen – wobei den Mutigen zur Beruhigung ihrer rückwärtigen Muskelpartie vorab verraten sei: Zwischen den drei Akten gibt es zwei längere Pausen…

Lohengrin

Oper in drei Akten von Richard Wagner aus dem Jahr 1850

Neuproduktion der OnR

Dirigentin: Aziz Shokhakimov

Regie: Florent Siaud

Musik: Straßburger Philharmonie OPS und die Opernchöre Straßburg und Nantes

Opéra Straßburg

SO 10. März, 15 Uhr

MI 13. März, 18 Uhr

SA 16. März, 18 Uhr

DI 19. März, 18 Uhr

FR 22. März, 18 Uhr

La Filature – Mülhausen

SO 7. April, 15 Uhr

MI 10. April, 18 Uhr

Hier sind noch Restkarten vorhanden.

ACHTUNG: Los geht’s unter der Woche bereits um 18 Uhr und nicht wie gewohnt um 20 Uhr.

Weitere Veranstaltungen der Rheinoper Straßburg:

Chansons françaises“

Rezital mit Anne Sophie Otter, Mezzo-Sopran

mit Liedern von Fauré bis Gainsbourg

DO 21. März, 20 Uhr

The Fantasticks“ – Boulevard-Oper (ab 8 Jahren)

Die New Yorker Boulevard-Oper von 1960 tourt weiter durchs Elsass.

In Mülhausen am 13. und 14. März, in Straßburg-Hautepierre 20. – 27. März

Tickets und Information HIER! 

Weitere „Ernste“ Kultur in Straßburg:

Konzert des „Orchestre National de France“

Sinnhuber, Schostakowitsch, Beethoven 6. Symphonie

PMC, FR 15. März, 20 Uhr

Infos und Tickets HIER!

Und hier schließlich der Link auf das Interview mit Marc Clemeur, worin er bereits vor sieben Jahren all die obig skizzierten Zusammenhänge dargelegt hat!

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