Nordsee-Windpark finanziert französische Atom-Renten – ein Interview mit Jürgen Trittin

Emmanuel Macron ist Präsident und kann nun auch noch mit einer satten Parlamentsmehrheit rechnen. Bundeskanzlerin Merkel spricht von „einem starken Votum für Reformen“, Finanzminister Schäuble erkennt in Macron einen „Mitstreiter“ für ein starkes Europa, für Außenminister Gabriel (SPD) zeigt der erneute Erfolg des Präsidenten, dass er überzeuge, und zwar „nicht nur in Frankreich, sondern auch in und für Europa“. Das ganze politische Deutschland scheint zu frohlocken. Ganz Deutschland? Nein! Einer warnt davor, sich zu früh zu freuen - ein Interview mit Jürgen Trittin.

Exklusivinterview von Michael Magercord mit dem ehemaligen Grünen-Parteichef Jürgen Trittin. Foto: Harald Krichel / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(Von Michael Magercord) – Jürgen Trittin ist seit 1998 Bundestagsabgeordneter der Grünen. In der Regierung Schröder war er von 1998 bis 2005 Umweltminister, und hätte er diesen Posten in Frankreich innegehabt, hießen die 25 Cent, die man beim Kauf einer Bier- oder Coladose erst einmal berappen muss, „Trittinpfand“. Zudem leitete er seinerzeit den ersten Atomausstieg ein. Heute ist er Mitglied im „Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union“. Michael Magercord hat mit ihm gesprochen.

Herr Trittin, ist es nun endlich so weit? Wird Emmanuel Macron nun ein neues Kapitel der deutsch-französischen Zusammenarbeit in Europa aufgeschlagen? Wird es bald einen europäischen Finanzminister geben?

Jürgen Trittin: Das Programm von Macron ist ja keine „Wünsch-Dir-Was“-Liste. Man kann nicht immer darauf drängen, er möge nun Sozial- und Arbeitsmarktreformen durchführen, aber seine weitergehenden Vorstellungen dann nicht mehr so ernst nehmen. Denn hinter der Idee eines europäischen Budgets und hinter der Idee eines europäischen Finanzministers steckt ja nicht nur ein neuer Posten, sondern das ist ein massiver Angriff auf die vor allem auf das Drängen von Deutschland betriebene Austeritätspolitik. Das ist ein massiver Angriff darauf, dass man sagt: Handelsdefizite sind ganz schlecht, die müsse man beseitigen, für Handelsüberschüsse hingegen könne man nichts, die müssen bleiben. Diesen auch einfach mathematischen Unsinn zu überwinden, das ist der Auftrag eines solchen Finanzministers. Und ich bin der festen Überzeugung, wenn Macron auch noch mit diesen Teil seiner Agenda ernst macht, dann haben wir richtig Stimmung zwischen Deutschland und Frankreich, oder anders gesagt: dann könnte ihm eigentlich nichts besseres passieren, als wenn am 24. September Herr Schäuble und Frau Merkel abgewählt würden, die sehen das nämlich definitiv anders.

Für einen bürgerbewegten Politiker muss das doch fantastisch sein, was sich jetzt in Frankreich abspielt: im neuen Parlament werden die Volksparteien fast keine Rolle mehr spielen, es kommen Abgeordnete hinein, die vorher noch nie in der Politik tätig waren, die Nationalversammlung als Gremium der Zivilgesellschaft, ein Traum wird wahr – oder ist das vielleicht doch nicht nur gut?

JT: Es tritt auf jeden Fall etwas Neues auf den Plan. Ein System, das im Grunde genommen nur die Spaltung der französischen Gesellschaft zementiert hatte, ist am Ende. Das hat etwas mit der politischen Krise der Sozialdemokratie zutun, aber auch mit der Korruption bei den Konservativen. Insofern ist das erst einmal ein Neuanfang. Ob daraus etwas Gutes wird, wissen wir nicht. Zunächst kann man sich zumindest darüber freuen, dass es ein Pro-Europäer ist, der diesen Neuanfang vollzieht.

Aber ist das nicht schön, dass da nun Menschen im Parlament sitzen, die zuvor noch nie politisch tätig waren, nicht korrupt sein können…

JT: Ich mag die Missachtung für diejenigen, die das politische Geschäft schon länger betreiben, nicht sehr. Hinter dieser Tätigkeit steckt oft ein jahrelanges Engagement und viel harte Arbeit und damit im Wesentlichen auch ein reiches Erfahrungswissen. Nach meinen Eindruck unterscheidet sich die französische Nationalversammlung auch ein bisschen vom deutschen Bundestag. Der Bundestag ist parlamentarischer, während das System in Frankreich stärker auf den Präsidenten ausgerichtet ist, und damit ist dort die Rolle des Parlamentes auch eine etwas andere als in Deutschland.

Also in Deutschland wäre ein Bürgerparlament keine Option…

JT: In Deutschland haben wir diese extreme Form der politischen Polarisierung nicht. Man kann das gut oder schlecht finden. Wir haben jetzt das zweite Mal eine große Koalition, Frankreich hat es in seiner Nachkriegsgeschichte einmal zu einer Kohabitation gebracht, das war’s dann. Aber der Umstand, dass im Prinzip alle Demokraten der Auffassung sind, man könne miteinander koalieren, allein weil das Land ja regiert werden muss, diese Kultur – ich nenne sie mal: die Kultur der Mäßigung – ist vielleicht etwas überraschend, aber sie scheint heute ein deutsches Markenzeichen zu sein.

Die Grünen in Frankreich sind ebenfalls unter die Räder gekommen, war es nicht eigentlich eine kluge Taktik von Daniel Cohn-Bendit, sich relativ früh Macron angeschlossen zu haben?

JT: Daniel Cohn-Bendit hat sich sehr früh angeschlossen, aber der – ich möchte nicht sagen: – Suizid der Grünen war hausgemacht. Das Problem war die Auseinandersetzung über die Regierungsbeteiligung bei Hollande. Cohn-Bendit hatte sich ja früh zurückgezogen von den Grünen, was aber auch andere Gründe hatte. Deshalb würde ich das nicht personalisieren, sondern das Debakel der französischen Grünen ist schon selbst verantwortet.

War es von Cohn-Bendit taktisch nicht trotzdem insofern klug, als dass er durch seine frühe Unterstützung Macron nun ein wenig auf eine etwas ökologischere Politik verpflichtet hat?

JT: Ja, man kann immer versuchen, Menschen zu sich zu ziehen, der jetzige Umweltminister ist auch ein Signal für diese Vorgehensweise. Nur ob sie funktioniert? Das wird man vielleicht in drei Jahren beantworten können.

Sie waren ebenfalls Umweltminister, hätten Sie für Nicolas Hulot, der ja anders als Sie direkt aus der Zivilgesellschaft auf diesen Posten gekommen ist, einen Ratschlag?

JT: Ich würde ihm raten, sich den Realitäten der Welt zu stellen und zum Beispiel zur Kenntnis zu nehmen, dass überall auf der Welt die Erneuerbaren massiv auf dem Vormarsch sind. Wenn man weiß, dass bereits im dritten Jahr in Folge die Neuinstallierung der Erneuerbaren jene der fossilen und nuklearen Energieerzeuger weltweit übersteigt, und wenn man dann noch weiß, dass dieser Erfolg unvereinbar ist mit dem Betrieb von Grundlastkraftwerken – und das sind nun einmal Atomkraftwerke -, dann sollte man den Weg eines geordneten Beendens dieser nicht zukunftsfähigen Energie einschlagen. Und man sollte gleichzeitig von den Erfahrungen aus China, Deutschland und anderen Ländern lernen, dass der Aufbau einer solchen Energie massiv neue Arbeitsplätze schafft.

Gegen diese Logik wird sich Nicolas Hulot sicher nicht sträuben, aber etliche seiner Kabinettskollegen…

JT: Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass ein Kabinett, das so sehr drauf angewiesen ist, dass es zu mehr sozialem Frieden kommen wird, sich gegen neue Arbeitsplätze wehrt.

Aber gegen den Abbau vorhandener Arbeitsplätze, wie etwa die CGT gegen die Schließung von Fessenheim.

JT: Dafür weiß ich ein gutes Argument…

Nur her damit!

JT: Wissen Sie wo Areva* einen Teil seiner Pensionsfonds angelegt hat? Beim Bürgerwindpark Butendieck vor der Nordseeinsel Sylt. Offensichtlich ist die eigene Unternehmenseinschätzung eine andere.

Eine Frage nun noch zu den deutschen Grünen: die Umfragen sehen ja derzeit nicht so rosig aus, wo ist das Gewinnerthema der Grünen, das Alleinstellungsmerkmal?

JT: Die Themen werden uns doch gerade frei Haus geliefert. Die Grünen sind die Partei für Klimaschutz, gleichzeitig steigen die Emissionen. Und die Grünen, die schon sehr früh auf den Ausbau der Elektromobilität in Deutschland gesetzt haben, wollen sich nicht mit dem Umstand abfinden, dass das bestverkaufte Elektroauto auf dem deutschen Markt ein Renault ist (lacht).

Anmerkung:

*Areva ist der größte französische Energiekonzern, der sich zu 79% im Staatsbesitz befindet und vor allem in der Nuklearbranche agiert, u. a. auch als Erbauer des Druckwasserreaktors in Flamanville, von dessen Fertigstellung die vorherige Regierung die Schließung des Meilers in Fessenheim abhängig gemacht hat.

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  1. „Wir sind die Partei für Klimaschutz“ | Jürgen Trittin

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