Rheinoper Straßburg: Brennen für die Schönheit

„Der Tempelbrand“ nach dem Roman von Mishima mit der Musik des Komponisten Mayuzumi handelt von der zerstörerischen Macht der Schönheit und man darf sich einmal mehr wundern, wohin der Schöngeist neigen kann – was sich auch auf diesen Artikel niederschlägt...

Japanische Oper in Strasbourg - ein spannendes Projekt zwischen den Welten und Kulturen. Foto: Opéra National du Rhin - Klara Beck

(Von Michael Magercord) – Welchen Stellenwert hat die Schönheit in unserem alltäglichen Dasein? Keinen allzu hohen. Jedenfalls nicht, wenn man die jüngste Entwicklung in Straßburg und anderswo sieht: überall die ewig gleichen Betonfassaden und dazu grauen Schneisen der omnipräsenten Verkehrsinfrastruktur. Alles bestens funktionell, nur schön ist anders.

Dass man aus Hass auf die Schönheit einen fünfhundert Jahre alten Tempel abfackelt, erscheint uns heute als unfassbare Tat. Doch die aus der Romanvorlage für die Oper entnommene Geschichte eines buddhistischen Mönches, der den Goldenen Tempel von Kyoto niederbrennt, ist eine wahre Begebenheit aus dem Jahr 1950. Ausgerechnet der Goldene Tempel, ein Gebäude der absoluten Perfektion – was bringt einen jungen Menschen dazu, ihn zerstören zu wollen? Wirklich Hass auf die Schönheit?

Schönheit war lange Zeit im Kosmos begründet. Die Ordnung der Natur ist das einzig Wahre, und die Schönheitsempfindung galt als Erinnerung an das Wahre, solange, bis die Wissenschaft sich der Wahrheit annahm. Das Schöne verlagerte sich in die Kunst und der Mensch muss nun selbst dafür sorgen. Die modernen Zeiten waren endgültig angebrochen und mit ihr das ganze Paradox der modernen Ästhetik.

Was ist noch schön, wenn Schönheit nicht mehr naturgegeben mehr ist? Es muss eine kollektive Übereinkunft geben darüber, was schön ist, und doch kann erst ein Individuum mit seinem eigenständigen Geist das Schöne empfinden. Das Wesen dieses Geistes ist seine gleichzeitige Beherrschtheit von Vergangenheit und Zukunft – jedenfalls der moderne. Und sein künstlerischer Ausdruck kämpft den verzweifelten Kampf gegen das Vergangene und die Ewigkeit und schafft in diesem Ringen Vergängliches. Kann das überhaupt schön sein?

Der Geist des armen Mönches war wohl ähnlich verwirrt wie der unsere nach der Lektüre dieses Artikels. Sein Kopf war vielleicht noch ganz im ewig Gegenwärtigen Zuhause, im Zen, doch das Leben in der dominanten Familie, seine wenig geglückte Liebesbeziehung, aber auch sich in Japan rasant wandelnde Lebensumfeld machten ihm den Widerspruch zum Absolutheitsanspruch des Schönen klar. Gab es nur diese eine Lösung: weg mit dem schönsten aller Tempel?

Bisher endete fast jeder Absatz in diesem Artikel mit einem Fragezeichen – aber auch der Roman und die Oper “Tempelbrand” bietet keine endgültige Erklärung für seine Tat. Und auch keine über die Rolle des Schönen in unserem täglichen Dasein. Das Schöne und das Absolute leben zu wollen, endet ja meist tragisch. Wie das Leben des exzentrischen Autors Yukio Mishima. Bodybuilder und immer auf der Suche nach einem neuen Japan, irgendwie modern und doch traditionell, initiierte er 1970 gerade einmal 45jährig mit vier extremen Nationalisten einen als Putsch deklarierten Überfall auf eine Kaserne. An dessen Ende verübten sie die traditionelle Selbsttötung durch gegenseitiges Köpfen: der eigene Tod als letztes, somit absolutes “Kunstwerk”.

Immerhin, in der Moderne gibt es einen Ort, wo man den Versuch, das Absolute im Diesseits schaffen zu wollen, relativ schadlos unternehmen kann: in der Oper! Der “Tempelbrand” wurde 1976 mit der Musik von Toshiro Mayuzumi, des der großen Protagonisten der neuen Musik in Japan, mit vermählten Klängen aus Orient und Okzident in Berlin uraufgeführt. Ab Mittwoch wird das zu Unrecht vergessene Werk in Straßburg in einer großen Aufführung erstmals in Frankreich zu sehen sein, stilecht vom japanischen Starregisseur Amon Miyamoto in eine japanische Szenerie gesetzt.

Und dann werden unseren Fragezeichen vielleicht doch noch Erklärungen folgen: Denn kann es wirklich Hass auf die Schönheit sein, die zum Abfackeln eines Tempels führt? Oder doch eher eine tief sitzende Angst, echter Schönheit letztlich nicht mehr gewachsen zu sein. Gemahnt uns das vage Erspüren des Schönen und unser kläglicher Umgang mit ihm in unserem alltäglichen Lebensumfeld nicht auch daran, dass wir den Zugang zu unserem eigenen Empfinden in all dem Grau des Betons und der Verkehrsschneisen verloren haben. Bleiben wir in Anbetracht der Zerstörung von alten Gebäuden und gewachsenen Gärten als Preis für den Bau von immer gleichen Standardwohnanlagen mit Parkgarage zur Nostalgie und Melancholie verdammt – Verdammte der zu Baugrund geschundenen Erde? Oder erkennen wir schließlich, dass die jüngste städtebauliche Entwicklung in Straßburg und andernorts dem einsamen Akt der Tempelbrandstiftung des schönheitsverwirrten Mönches ziemlich nahekommt – dieses Mal allerdings in seiner modernen Form der kollektiven Dauerbrandstiftung.

Le Pavillon d’or  /  Tempelbrand
Oper in drei Akten von Toshiro Mayuzumi

Libretto des Komponisten und Claus H. Henneberg aus dem Jahr 1976 nach dem Roman von Yukio Mishima von 1956

Französische Erstaufführung in einer Koproduktion mit der Tokyo Nikikai Opera Foundation.

Musikalische Leitung: Paul Daniel
Regie: Amon Miyamoto

Strasbourg – Opéra

MI, 21. März  20.00 Uhr
SA, 24. März  20.00 Uhr
DI, 27. März  20.00 Uhr
DO, 29. März  20.00 Uhr
DI, 03. April  20.00 Uhr

Mulhouse – La Filature

FR, 21. April  20.00 Uhr
SO, 21. April  15.00 Uhr

Infos und Ticket unter: www.operanationaldurhin.eu

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