Welttrabanten: Barber, Mahler, Beethoven

Die Straßburger Philharmonie hat ihre Saison so weit ohne große Änderungen durchführen können. Nun wurde das Programm in dieser Woche den Corona-Anforderungen angepasst: Aus Beethovens Siebte wird die Erste und hinzu kommt Samuel Barbers Adagio.

Beethovens Krater auf dem Planeten Merkur, Nummer EW0257129602G. Mahlers Krater hat dort oben in unmittelbarer Sonnenähe die Nummer EN1067844344M. Foto: Messenger Raumsonde / NASA / PD

(Michael Magercord) – „Ich bin der Welt abhandengekommen“, verdichtete der Romantiker, Orientalist und Koranübersetzer Friedrich Rückert das Empfinden so mancher Zeitgenossen nach den stürmischen Jahren der Französischen Revolution und den Folgen der napoleonischen Kriege. Gustav Mahler vertonte über ein halbes Jahrhundert später, als die Auswirkungen der industriellen Revolution diese Empfindung erneut hervorrief, das Gedicht über den Menschen, der sich zurückzieht aus dem „Weltgetümmel“, mit dem „ich sonst so viele Zeit verdorben“.

Und klingt dies nicht heute fast wie das Begleitlied zur Coronazeit? Wobei man natürlich nun wohl eher sagen müsste, dass die Welt uns abhandengekommen ist. Jedenfalls die gewohnte Zeit, in der alles normal schien, was aber vielleicht gar nicht normal war. Doch sicher wird man bald wieder versuchen, das alles wieder so wird wie zuvor, aber schon jetzt ahnt man, dass es so wie zuvor nicht mehr werden wird, ja vielleicht auch nicht mehr kann oder gar werden sollte. Was aber soll nun werden? Und da ist es eben doch, das Gefühl, der Welt abhandengekommen zu sein. Und kaum jemand wusste dieses Empfinden in Töne zu setzen, Gustav Mahler in seinen Rückert-Liedern.

Am Donnerstag und Freitag werden sie in Straßburg zu hören sein, gespielt von den Straßburger Philharmonikern unter dem Dirigat von Claus Peter Flor, gesungen von Petra Lang. Die Lieder schrieb Gustav Mahler 1901, zur gleichen Zeit also wie die Fünfte Symphonie – und nicht von ungefähr erinnert der Grundton des „Weltverlorenen“ an dessen Adagietto. Und wer erinnert sich nicht allzu gerne noch daran, als im vergangenen Februar, gerade noch vor dem Lockdown und dem „confinement“, dieses zarte, von tiefen Empfinden geprägte Meisterwerk der Symphonik in Straßburg erklang?

Doch nicht nur der, der damals dabei war, darf sich nun freuen, an diese Empfindung anzuknüpfen zu können: Die tiefe Melancholie, die uns vielleicht damals berührt hatte, weil sie uns aus der Schnelle unserer Zeit entreißt, wird es uns vielleicht nun daran gemahnen, sich nicht sofort wieder vom Strom der Welt mitreißen zu lassen, denn vielleicht ist es manchmal gar nicht so schlecht, wenn uns die Welt abhandenkommt und wir ihr…

Gemach, denn dass natürlich noch lange nichts beim Alten ist, zeigen die Umstände, unter denen man in den Konzertsaal gehen wird, und gleichsam aber auch das Programm selbst. Den Anfang des dritten Abonnentenkonzertes der OPS macht nun Samuel Barbers Adagio aus dem Jahre 1936, das in seinem Grad der Weltentrückung kaum den Liedern Mahlers nachsteht. 2004 wurden die kaum zehn Minuten von den Hörern des BBCs zum „traurigsten klassischen Stück“ gewählt. Mal sehen, welche Empfindung diese Musik nun bei uns auszulösen vermag.

Der letzte Komponist, dessen Werk erklingen wird, ist der Ehrenjubilar dieses in wahrsten Sinne des Wortes „verrückten“ Jahres, Ludwig van Beethoven, von dem die Aussage überliefert ist, Musik sei „mehr Empfindung als Tongemälde“. Allerdings muss auch die Huldigung des Giganten der musischen Gefühlswallungen auf Corona Rücksicht nehmen: Denn statt der geplanten, voluminösen Siebten Symphonie wird aus Gründen der sanitären Bedingungen dessen Erste aus dem Jahre 1801 erklingen, die sich noch ganz auf den kleineren Orchesterapparat stützt, der bis dahin üblich war und nun coronatauglicher ist.

Mozart oder Haydn kann man aus dem Symphonie-Erstling noch heraushören, aber auch schon den typischen Beethovenschen Wandel von Zartheit zur Wucht, den er gerade in der Siebten Symphonie zur Höhe gesteigert hatte. Doch vielleicht ganz gut, dass nun nicht diese, sondern die Erste zu hören ist, denn hieß es doch bei der Uraufführung der Siebten 1812, man könne den Wandel nur ertragen, wenn man selbst schon verrückt geworden sei – aber das sind wir ja noch nicht, sondern lediglich die Welt, die abhandengekommene.

Déclaration en musique – Konzert  der Straßburger Philharmonie OPS

Barber – Adagio für Streicher
Mahler – Rückert-Lieder
Beethoven – 1. Symphonie in C-Dur

Dirigent: Claus Peter FLOR
Mezzosopran: Petra LANG

DO 15. und FR 16. Oktober
Palais de la Musique et des Congrès PMC, Straßburg

Informationen und Tickets unter: https://philharmonique.strasbourg.eu/de/

Es folgt das Konzert:
Reise ins Herz der Romantik
Bach, Pärt, Schubert, Berio
DO 5. und FR 6. November

HINWEIS: Sollte aufgrund der Entwicklungen mit COVID-19 eine Absage dieses oder weiter Konzerte erfolgen, werden wir Sie in der Kommentarzeile zu diesem Artikel so umgehend wie möglich darüber informieren.

1 Kommentar zu Welttrabanten: Barber, Mahler, Beethoven

  1. Michael Magercord // 24. Oktober 2020 um 12:53 // Antworten

    Ja, das war schon ein schönes Konzert – und ja, es wird auch trotz der abendlichen Ausgehbeschränkung weitere Konzerte der Straßburger Philharmoniker geben. Nur werden sie absofort bereits um 18.30 Uhr beginnen!
    Das gilt so auch für die im obigen Artikel bereits vorangekündige “Reise ins Herz der Romantik” am 5. und 6. November. Da es keine Pause gibt, dürfte sie gegen 20 Uhr beendet sein, es bleibt also für die dann vermutlich etwas weniger romantische Heimreise ausreichend Zeit.
    Bis dahin,
    Ihr Eurojournalist(e)

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