Wofür braucht Frankreich eigentlich noch ein Parlament?

Bereits zum 12. Mal drückt Frankreichs Premierministerin Elisabeth Borne auf Geheiß ihres Präsidenten ein Gesetz mit dem § 49.3 am Parlament vorbei durch. Dieses darf nur noch zuschauen.

Wofür brauchen wir eigentlich demokratische Institutionen?, scheint sich auch Elisabeth Borne zu fragen. Foto: Jacques Paquier / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0

(KL) – Seit dem 16. Mai 2022 ist Elisabeth Borne Premierministerin Frankreichs. In dieser Zeit hat sie bereits 12 Mal den berüchtigten § 49.3 gezogen, der es erlaubt, gesetzgebende Entscheidungen am Parlament vorbei zu treffen. Das bislang spektakulärste Beispiel war das Gesetz zur Rentenreform, gegen das Millionen Franzosen protestiert hatten und für das es keine Mehrheit im Parlament gab. Doch wozu nützt die Assemblée Nationale, die gewählte Vertretung des französischen Volks, wenn die Regierung alle Themen, bei denen sie keine Mehrheiten findet, dann eben an den demokratischen Institutionen vorbei entscheidet?

Dieses Mal geht es um das „Gesetz zur Programmierung der öffentlichen Finanzen“, also den Haushaltfahrplan Frankreichs bis zum Ende des Mandats von Präsident Macron und seiner Regierung. Die Begründung Elisabeth Bornes für die erneute Nutzung des Paragraphen 49.3 liest sich wie ein demokratischer Albtraum: „Keine der Fraktionen ist bereit, für diesen für unser Land so wichtigen Text zu stimmen. Der Gesetzesvorschlag wurde bereits nach der ersten Lesung abgelehnt. Aber wir brauchen dieses Gesetz über die Programmierung der öffentlichen Finanzen.“ Vermutlich merkt Elisabeth Borne schon gar nicht mehr, dass alleine diese Erklärung bereits ein erneuter Anschlag auf die französische Demokratie ist.

Kann es Sinn einer Demokratie sein, dass die jeweiligen Machthaber nur diejenigen Themen vom Parlament entscheiden lassen, von denen sie sicher sind, dass sie eine Mehrheit haben? Und den Rest freihändig und ohne die gewählten Volksvertreter entscheiden?

Viel Widerstand ist allerdings nicht zu erwarten, die Franzosen haben sich seit Jahren daran gewöhnt, dass „die da oben“ ohnehin machen, was sie wollen, zur Not eben auch vorbei an den demokratischen Institutionen. Dies hat dazu geführt, dass Emmanuel Macron der vermutlich meistgehasste Präsident der V. Republik geworden ist, der nur noch von einer Handvoll Personen unterstützt wird, die persönlich von der „Macronie“ profitieren. Die große Mehrheit der Franzosen wartet nur noch auf das Jahr 2027, wenn ein neuer Präsident und ein neues Parlament gewählt werden.

Den ersten heftigen Denkzettel wird die „Macronie“ bei der 2024 stattfindenden Europawahl erhalten, denn das ist die erste echte Gelegenheit, bei der die Franzosen ihrer Regierung mitteilen können, was sie von ihr halten. Doch die Zeit bis 2027 ist lange, vor allem mit einem Präsidenten und einer Regierung, die von Konzepten wie „Demokratie“ nicht sonderlich viel halten.

Doch angesichts der inzwischen kaum noch zu überschauenden Krisen spielt die französische Regierung ein gefährliches Spiel. Die Franzosen lassen sich nicht mehr von den Prunkbildern aus Versailles von Staatsbesuchen wie dem von Charles III. beeindrucken, ganz im Gegenteil. Wenn der Präsident den Franzosen in einem Atemzug mitteilt, dass man nun den Gürtel enger schnallen müsse und gleichzeitig den Sonnenkönig in Versailles spielt, dann bringt das inzwischen auch Franzosen gegen ihn auf, die ihm bisher die Treue gehalten hatten.

Die Lage in Frankreich bleibt angespannt und der nächste Ärger ist vorprogrammiert. Nicht nur, dass im Oktober erneut Aktionstage gegen die „gewaltsam“ durchgedrückte Rentenreform stattfinden, dazu stehen die Olympischen Spiele 2024 in Paris vor der Tür. Zu dieser Gelegenheit wird Frankreich in einen Überwachungs- und Sicherheits-Staat verwandelt werden, der zumindest einen Sommer lang eher an Nordkorea als an das Land der Kultur und der Erleuchtung erinnern wird. Auch das wird nicht ohne Proteste über die Bühne gehen und die Frage steht im Raum, wie lange Macron und seine Erfüllungsgehilfin Borne weiter gegen ihr Land regieren können. Als ob die Gemengelage der Weltkrisen nicht ausreichen würde, setzen Macron und seine Regierung alles daran, dass es auch intern in Frankreich wieder knallen wird. Dass all dies Frankreich bei den nächsten Wahlen in die Hände der Rechtsextremen treibt, scheint dieser Regierung egal zu sein. Das politische Konzept scheint heute in Paris zu lauten „Nach uns die Sintflut“.

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