Drei minus. Höchstens.

Die mit Spannung erwartete Neujahrsansprache von Emmanuel Macron warf einmal mehr eher Fragen auf, als Antworten zu liefern. Es ist aber auch nicht einfach...

Können diese Augen lügen? Die meisten Franzosen glauben Emmanuel Macron nicht mehr. Es ist Zeit, Ergebnisse zu liefern. Foto: ScS EJ

(KL) – Hätte Emmanuel Macron die Wahl gehabt, dann hätte er Silvester und die obligatorische Neujahrsansprache wohl am liebsten ausfallen lassen. Denn mitten hinein in die sozialen Unruhen im Land erwarteten die Franzosen mehr als nur ein paar freundliche Grußworte zum Jahreswechsel. Doch Macron zeigte erneut, dass er es mit Natürlichkeit und Herzlichkeit nicht so hat – seine Ansprache wurde in Frankreich als sehr unbefriedigend bewertet. Allerdings hat sich der französische Präsident auch in eine Lage manövriert, in der er es schwer hat, sich richtig zu verhalten.

Auf die brennenden Fragen der französischen Aktualität hatte Emmanuel Macron keine Antworten. Weder ging er auf den Skandal „Benalla 2.0“ ein (ganz Frankreich fragt sich, wie der im Mai gefeuerte schlägernde Leibwächter Alexandre Benalla immer noch über gleich zwei Diplomatenpässe verfügen und sich weiterhin mit besten Beziehungen zum Elysee-Palast brüsten kann), noch erläuterte er konkret, wie es in der sozialen Auseinandersetzung mit den „Gelbwesten“ weitergehen soll. Gut war, dass er sehr deutlich machte, dass die Regierung weitere gewalttätige und extremistische Ausschreitungen nicht mehr tolerieren werde. Alles andere würde man dann im neuen Jahr sehen – er werde sich dann schriftlich zur Eröffnung eines Dialogs mit der Zivilgesellschaft an die Franzosen wenden. Nur – so richtig lockt das auch niemanden mehr hinter dem Ofen vor. Im November und Dezember waren erst die Ergebnisse der ein Jahr lang laufenden „Bürgerbefragungen“ erst auf französischer und dann auf europäischer Ebene verkündet worden. Ein Muster für einen Bürgerdialog ohne Wert, dessen Ergebnisse nun in den Schubladen von Beamten in Brüssel, Paris und anderswo versanden werden. Für seinen „Bürgerdialog“ wird sich Macron ein anderes Format einfallen lassen müssen, denn wenn dieser Dialog scheitert, dann scheitert auch seine Regierung.

Gewiss, Macron ärgerte sich in seiner Ansprache sichtlich und zurecht über extremistische, antisemitische, homophobe und gewalttätige Zwischenfälle in letzter Zeit, doch fehlt dem Präsidenten nach wie vor nicht nur ein klares Konzept, sondern auch die Fähigkeit, auf Augenhöhe mit den Menschen zu sprechen. Doch auch, wenn Macron wohl bei den nächsten Wahlen vom Hof gejagt werden wird, so wird ihn die Mehrheit der Franzosen schützen – nicht den Politiker Macron, sondern die präsidiale Funktion, deren Aufgabe es ist, das zu sichern, was Macron selbst „die republikanische Ordnung“ nannte. Mag der Mann auch eine eitle Fehlbesetzung als Präsident sein, so muss er nun von allen demokratischen Kräften in In- und Ausland unterstützt werden, denn ein innenpolitischer Zusammenbruch Frankreichs wäre eine Katastrophe für das Land und auch für Europa, das sich im Brexit-Jahr und im Jahr der Europawahl keine weiteren Angriffe auf eine große europäische Demokratie leisten kann.

Ja, Macron formulierte den Wunsch nach einer europäischen Zukunft. Doch diesen Wunsch formuliert er nun seit zwei Jahren, ohne dass es zu nennenswerten Durchbrüchen gekommen wäre. Und ja, Macron zeigte, dass er aufrecht steht und gewillt ist, seine Amtszeit bis zum Ende durchzustehen, egal, wie laut die Menschen „Macron – démission“ brüllen. Doch dieses Leadership muss Macron nun in den Bürgerdialog einbringen, der praktisch sofort starten muss.

Dieser Dialog muss nicht nur sofort starten, sondern auch eine Verpflichtung zu Ergebnissen beinhalten. Dabei sollte Macron darauf achten, dass die „Gelbwesten“ an diesem Dialog teilnehmen können, ebenso wie andere zivilgesellschaftliche Organisationen, die gemeinsam möglichst das abbilden sollen, was man als „das Volk“ bezeichnen könnte. Sollten die „Gelbwesten“ weiter damit kokettieren, dass sie sich keine Struktur geben wollen, dann nehmen sie eben nicht an diesem Dialog teil. Das ist ihr Wahl und es wäre erstaunlich, würden sich die „Gelbwesten“ selbst um den Erfolg bringen, für den sie seit 7 Wochen mal mit nachvollziehbaren, mal mit gewalttätigen Protesten kämpfen. Doch der dringend erforderliche soziale Fortschritt kann nicht darauf warten, dass sich die „Gelbwesten“ dazu durchringen, Sprecher zu bestimmen, die anderes als reine rechtsextreme Positionen vertreten.

Die Neujahrsansprache wird die Gräben durch die französische Gesellschaft nicht kitten können. Die „Gelbwesten“ und die gesamte Opposition sind enttäuscht, die Anhänger Macrons zufrieden. Jetzt gibt es nur noch einen Weg, um Frankreich zu befrieden – den Weg des sozialen Fortschritts. Dieser Weg steht offen und muss nun gegangen werden. Ohne weiteres Blabla. Es ist Zeit, zu handeln. Auf dem Boden der demokratischen Werte.

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