Gallier: Goethe ist mit euch!

Vor zwei Wochen erschien an gleicher Stelle eine kritische Ansprache an die Gallier in den gelben Westen. Da wusste ihr Verfasser allerdings noch nicht, welche Richtung ihre Bewegung einschlagen würde. Nun weiß er es besser, deshalb folgt hier die Aufmunterung: Jetzt bloß nicht aufgeben!

Wütende Gallier, so eine Art Dauerbrenner auf der anderen Rheinseite... Foto: Ferran Conrella / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(Von Michael Magercord) – Ich neige ja so gar nicht zum Größenwahn, aber dass ihr euch meine Ansprache vor zwei Wochen dermaßen zu Herzen genommen habt, bewegt mich dann doch. Deshalb vorweg eine Entschuldigung: Ja, ihr Gallier seid schon tolle Kerle! Vielleicht manchmal etwas zu rauflustig und grummelig – da hat euer galliger Jupiter schon recht –, aber ansonsten macht ihr einfach alles richtig.

Als Gelbwesten verkleidet habt ihr euch jedenfalls selbst übertroffen. Die Revolution vors Einkaufzentrum zu verlegen – genial! Zugegeben, wenn ich die Bilder sehe, auf welche Weise ihr Straßen und Zufahrten blockiert, habe ich ein wenig Angst vor der eigenen Courage bekommen. Ich konnte ja nicht ahnen, wie ernst ihr es macht mit der Befolgung meines Aufrufs zur persönlichen Konsumverweigerung. Doch dank euch kommt diese Konsumverweigerung nun eben für alle – bisschen gewalttätig durchgesetzt, aber klar: wie oft schon in der Geschichte der Menschheit musste man die Menschen zu ihrem Glück erst zwingen!

Es ist einfach an der Zeit: Schluss mit dem dämlichen Konsum! Gerade vor Weihnachten! Was wird da für ein Unsinn gekauft, nur weil man ein Geschenk für Oma/Mutti/Tante braucht – mon Dieu! Dank der Gelbwesten kann ich nun zu Oma/Mutti/Tante sagen: Sorry, ich kam gar nicht erst ins Geschäft! Klar, die Händler und Manager führen schon wieder die ganz großen Zahlen im Munde: Hunderte von Millionen Euros Umsatzeinbuße allein am letzten Wochenende, wie in allen TV-Kanälen zu erfahren war. Das Weihnachtsgeschäft sei jetzt schon futsch! Es wird nicht lange dauern und die Geschäftstreibenden fragen den Staat nach einem Ausgleich für ihre Verluste, bezahlt von euren Steuergeldern…

Aber egal, das darf euch nicht von eurem Tun abbringen. Jetzt bloß nicht schlapp machen! Denn wenn der vorweihnachtliche Kaufrausch eines der konsummächtigsten Länder der Erde auch nur ein einziges Mal ausfällt, ist das bereits ein gewaltiger Beitrag für die Menschheit! Und wer weiß, vielleicht werden die Menschen dabei bemerken, dass man die Zeit, die sie sonst in Einkaufszentrum verplempert haben, viel besser nutzen kann. Oder dass die Hunderte von Kilometern, die sie früher an den Wochenenden sonst wohin gefahren sind und Abgase in die Luft gepustet haben, nur um ihrem öden Zuhause zu entfliehen, sinnlose Kilometer waren.

Ach, liebe Gallier, ich träume schon von der besseren Welt: Dank eurer beherzten Aktionen werden die Menschen erkennen, was wirklich wichtig ist. Sie setzen sich endlich dafür ein, dass ihre eigene Umgebung wieder lebenswerter wird. Und die grässlichen Einkaufszonen, die jede Stadteinfahrt bis zur Gesichtslosigkeit verschandeln, werden sich in Efeu umrankte Ruinen verwandeln. Und all das dämliche Zeug, das nur Müllhalden wachsen ließ, wird gar nicht erst produziert. Ja, ihr Frauen und Männer in Gelb – im Grunde seid ihr radikale Grüne!

Und dabei auch noch so hinterlistige. Denn wie clever ist doch eure Verschleierungstaktik: zu behaupten, man führe einen Kampf ums billige Benzin und dann dafür sorgen, dass keiner mehr fahren kann! Oder vehement um Kaufkraft streiten, ohne dass noch einer einkauft! Oder habe ich da was falsch verstanden? Sähe man nicht das Resultat eurer Mühen, sondern nur eure wütenden Bilder und Facebookposts – man könnte fast denken, ihr meint ernst, was ihr da fordert?

Aber selbst wenn, das ändert nichts mehr an meiner Bewunderung. Auf das Ergebnis kommt es an und so könnte es auch sein, dass ihr auf den Plan getreten seid, einfach weil es an der Zeit war. Denn im Grunde wissen wir es ja alle: wir müssen unserer Überproduktion, dem Überkonsum und der Übermobilität Herr werden, sonst wird es ziemlich ungemütlich für uns Menschen auf diesem Planeten. Und alle ahnen, dass auch Elektrofahrzeuge, für die der Präsident euch jetzt steuerfinanzierte Kaufanreize in Aussicht stellt, nichts an dem unmäßigen Flächenverbrauch durch die Verkehrsinfrastruktur und Parkplätze ändern werden, zumal ihre Batterien zudem ein gewaltiges Entsorgungsproblem mit sich bringen. Es ist also an der Zeit, der allzu freien Fahrt von Autos Einhalt zu gebieten, und so seid ihr auf den Plan getreten: Ihr seid die Fleischwerdung der Notwendigkeit, nach all den Sonntagsreden von Kampf gegen den Klimawandel, Nullwachstum und Umbau des Wirtschaftssystems nun samstäglich zur Tat zu schreiten. Auch ohne, dass ihr euch darüber überhaupt im Klaren seid, ja, ihr sogar das Gegenteil fordert, so agiert doch an jeder durch euch versperrten Zufahrt zu einem Einkaufszentrum der übergeordnete Wille, genau mit dem Schluss zu machen, was ihr fordert. Ihr seid nichts mehr, aber eben auch nichts weniger als die Auserwählten der unausweichlichen, historischen Fügung…

Huuh! Schaudert es euch da nicht auch ein bisschen vor eurer eigenen welterlösenden Bedeutung? Wie gesagt, ich bin ja keineswegs größenwahnsinnig, aber auch mich fröstelt es, wenn ich nun sehen muss, dass meine folgenschwere Ansprache an die Gallier vor zwei Wochen letztlich eine prophetische Offenbarung im Weltenplan war – und ich gestehe: das hat etwas Teuflisches. Denn wie sagte Papst Benedikt XVI, der es wissen muss: Wer die Existenz des Teufels negiert, ist bereits von ihm besessen. Huuh!

Doch diese erneute Ansprache soll ja eine Aufmunterung für euch sein. Und wenn man schon vom Teufel spricht, wird es euch sicher besonders freuen, sie von einem Deutschen zu hören. Aber nicht irgendeinem Deutschen, sondern der Deutsche schlechthin wird euch die aufmunternden Worte mit auf den Weg zur nächsten Einkaufzentrumsblockade geben, denn wie ließ Johann Wolfgang von Goethe in seiner Tragödie des Doktor Faustus den Mephisto sagen: Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft!

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