Hoffentlich ist bald Ostern…

Auf Frankreich kommt eine Weihnachtszeit zu, die von Chaos, sozial motivierten Auseinandersetzungen und vermutlich wieder einmal Gewalt geprägt sein wird.

Auf der Strasse, in den Bahnhöfen oder wie hier am Wochenende auf den Flughäfen - Streiks und Proteste prägen die Adventszeit in Frankreich. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Letztes Jahr beförderte die französische Staatsbahn SNCF weit über 3 Millionen Fahrgäste während der Weihnachtszeit. Kinder fuhren zu ihren Eltern, Familien fuhren zu Onkels und Tanten, Liebende fuhren zu ihren Liebsten, denn so ist es halt zu Weihnachten, wenn man sich und die seinen wiederfindet, wenigstens für ein paar entspannte Tage unterm Weihnachtsbaum, mit Gänsebraten, Keksen, Liedern und Spaziergängen. Aber das fällt dieses Jahr aus, denn die Angestellten der SNCF werden streiken, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, ihre Renten-Privilegien zu behalten, die in Frankreich einzigartig sind.

Der Kampf der Eisenbahner-Gesellschaften ist eigentlich etwas, was von keiner anderen Bevölkerungsgruppe unterstützt werden könnte, denn in welcher anderen Berufsgruppe kann man schon mit 52 bzw. 55 Jahren in den wohl dotierten Ruhestand gehen? Doch die soziale Unzufriedenheit in Frankreich ist heute derartig aufgeladen, dass alle Unzufriedenen zusammen auf die Straße gehen und die teilweise völlig entgegengesetzten Forderungen der Demonstranten münden alle in einer Forderung – „diese Regierung muss weg“. Und dass wollen sie alle zusammen durchsetzen, und wenn sie dafür die Hauptstadt Paris abfackeln müssen. Und andere große Städte auch.

Bereits am Dienstag ist der nächste große Aktionstag, bei dem wieder Zehntausende, Hunderttausende auf die Straße gehen werden. Auf der Liste der Forderungen: Beibehaltung der Privilegien der Eisenbahner, Protest gegen das ansteigende Renteneintrittsalter, Protest gegen die faktische Senkung der Renten für die meisten Arbeitnehmer des Öffentlichen Diensts, Protest gegen die Personalnot in Krankenhäusern und Schulen, Protest gegen die geplante Reform der öffentlichen Medien, Protest gegen Gewalt gegen Frauen, Protest gegen die grassierende Armut vieler, Protest gegen soziale Kälte, Protest gegen die geplante Privatisierung des Pariser Flughafens, Protest gegen die Arroganz, welche die französische Regierung seit Amtsantritt gegenüber ihrer Bevölkerung an den Tag legt, Protest gegen die zahllosen Korruptions- und Amtsmissbrauchsfälle in Frankreich. Und das ist nur ein kleiner Auszug derjenigen Gründe, die momentan die Franzosen auf die Straße treibt.

Allerdings, und da sind sich alle bis auf die Eisenbahner einig, wäre es nett, würden in der Weihnachtszeit wenigsten die Züge fahren, damit die Franzosen Weihnachten mit ihren Familien feiern können. Aber genau das wollen die Eisenbahner-Gesellschaften den Franzosen nicht gönnen. Doch da spielen die Gewerkschaften ein gefährliches Spiel – denn die Menschen fangen an, etwas genauer hinzuschauen und man stellt nicht nur fest, wie unglaublich die Rentenprivilegien der Eisenbahner sind, sondern auch, welch feudalen Lebensstil die größte der Gewerkschaften CGT führt.

Wenn nun tatsächlich Weihnachten für viele französische Familien ausfällt, so, wie es die Gewerkschaften ankündigen, könnte es mit den gemeinsamen Demonstrationen vorbei sein. Denn während alle anderen Protestgruppen in Frankreich ein gemeinsames Anliegen haben, nämlich mehr soziale Gerechtigkeit, streiken die Eisenbahner für Privilegien, die nur sie selbst genießen, also eigentlich für das genaue Gegenteil von sozialer Gerechtigkeit.

Und noch etwas verbindet all diejenigen, die seit über einem Jahr ihre sozialen Anliegen auf die Straße tragen – sie alle scheinen vergessen zu haben, dass Frankreich ein demokratisches Land ist und dass sie selbst vor zweieinhalb Jahren mehrheitlich nicht wählen gegangen sind und damit die Amtszeit der Regierung Macrons ermöglicht haben. Und auch die Möglichkeit, in zweieinhalb Jahren diese Regierung wieder abzuwählen und durch eine solche zu ersetzen, die ihren Vorstellungen eines sozialen Frankreichs besser entspricht, scheint niemandem mehr so richtig klar zu sein. Die Straße hat Blut geleckt, die Straße will jetzt auch Blut sehen. Denn das ist spannender als all das Gequatsche von Demokratie und wählen und sich organisieren. Weihnachten 2019 wird sehr stressig werden in Frankreich – hoffentlich ist bald Ostern…

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