Nur über seine Leiche – Die 10. Symphonie von Schostakowitsch

Symphonien von Dimitri Schostakowitsch sind Konzertereignisse ersten Ranges. Das Straßburger OPS spielt am Donnerstag seine Zehnte, eines der ersten großen Werke der Nach-Stalinistischen Ära in der Sowjetunion: Diktatorendämmerung - eine Hoffnung auch in unserer Zeit?

Dimitri Schostakowitsch und Josef Stalin. Der Komponist und der Diktator. Der Herrscher über den absoluten Klang und der absolute Herrscher über Menschenleben. Foto: Standbild aus einer kurzen Filmsequenz einer sowjetischen Wochenschau der 1940er Jahre / PD

(Michael Magercord) – Stalin ist tot. Ein Ruf, der die Sowjetunion erschütterte. Vielleicht konnten nicht einmal jene, die diesen Tag lange herbeigesehnt hatten, die Erleichterung über das Ende des skrupellosen Diktators wirklich verspüren. Zu viel hatte sich ereignet in den Jahren seiner Herrschaft, gewaltige Industrialisierung, begleitet von Terror, dem aufgezwungenen Krieg, die Säuberungen danach. Kein Bewohner des Riesenreiches blieb von seiner Herrschaft unberührt, ebenso wenig von seinem Tod.

Komponisten haben es gleichsam leichter wie schwerer, um ihre widersprüchlichen Empfindungen Ausdruck zu verleihen. Sie üben eine Kunst aus, die geradezu dazu geschaffen ist, den Gefühlen eine Bühne zu geben, anderseits aber – wenn sie den Anspruch verfolgt, ihren Hörern wirklich etwas mitteilen zu wollen – auch eine innere Ordnung einfordert. Es gab wohl in der Sowjetunion kaum jemanden, der sich darauf besser verstand, beide Anforderungen an ein Werk zu erfüllen als Dimitri Schostakowitsch.

Neun Symphonien hatte er bereits komponiert, immer wieder erweckte er damit selbst beim großen Diktator unterschiedliche Reaktionen. Denn ja, Stalin, der Skrupellose, war ein Meloman, manche sagen, er war durchaus ein Musikkenner. Vor allem aber wusste er um die Macht der Musik auf die Seelen der Menschen, und diese Macht wollte er mit niemandem teilen. Schon im Jahr 1936 erregte die fünfte Symphonie den Argwohn der Zensur wegen allzu moderner Kompositionstechniken, die so gar nichts in einem Bauern- und Arbeiterstaat verloren hätten. Und seine Neunte, die im Sommer 1945 zur großen Siegesfeier beitragen sollte, erboste den Diktator durch ihre unheroische Leichtigkeit so sehr, dass sich der Komponist danach an kein großes Werk mehr wagte.

Bis zum Tod Stalins im Februar 1953. Gleich darauf setzte sich Dimitri Schostakowitsch an den Schreibtisch, wo er – wie sein Sohn berichtete – seine Musik ohne Klavier direkt auf das Notenpapier schreib. Die Symphonie erklang noch im Dezember des selben Jahres. Vorsicht war nach wie vor geboten, und so versteckte Schostakowitsch sein musikalisches Portrait Stalins in dem kurzen Scherzo des 2. Satzes.

Seine Zehnte sollte ein großer Erfolg werden, obwohl sie harmonisch durchaus komplex gestaltet ist. Allerdings verwendete er etliche Melodien aus dem reichen Schatz der russischen Volksmusik. Und zum ersten Mal ertönte die später häufig von Schostakowitsch einsetzte Tonfolge d-es-c-h. Wie sein Vorbild Bach das deutsche System der Notenbezeichnung hin und wieder wie ein musikalisches Alphabet nutze, schuf er sich nun ebenfalls seine musikalische Initialien, stehen diese vier Noten doch für D. Sch. Es ist ein Aufbäumen nach den Jahren des verpönten Individuums: Da sagt jemand endlich wieder „Ich“ und setzt sich und seinen Landsleuten ein Denkmal: Ja, wir haben das Scheusal überlebt!

Am Donnerstag wird dieser Meilenstein der Symphonik in Straßburg erklingen, wer sich noch an den Zyklus der 13., 14. und 15. Symphonie erinnern kann, freut sich schon jetzt darauf und hofft auf eine Weiterführung mit den beiden folgenden gewaltigen Programmsymphonien Elf und Zwölf.

Eingeleitet wird der Abend mit dem Violinkonzert von Johannes Brahms aus dem Jahr 1878. – Wenn man so will, ist es ein Beispiel demokratischer Kompositorik. Denn sie entstand in einem zähen Ringen des Komponisten mit seinem Solisten. Brahms, der selbst nicht Geige spielen konnte, wollte höchste Virtuosität für den Solisten, sein Violinist Joseph Joachim aber strich in den Partiturentwürfen immer wieder seiner Meinung nach überflüssige Noten heraus, um insgesamt dem Soloteil eine größere lyrische Wirkung zu verschaffen.

Es blieb trotzdem ein schwieriges Stück, dem sich so manche Musiker seinerzeit verweigerten. Der Dirigent Hans von Bülow etwa sah darin eine Komposition, die nicht für, sondern gegen die Geige geschrieben wurde, für den Violinisten Wieniawski war sie schlicht unspielbar. Brahms soll nach diesen Kritiken aus der eigenen Zunft Skizzen für ein zweites Violinkonzert gar verbrannt haben.

Am Donnerstag allerdings wagen sich die Straßbruger Philhamoniker zusammen mit dem Solisten Augustin Handelich trotzdem an dieses Violinkonzert, und es wird an dieser Stelle schon einmal vorab gemutmaßt, dass ihnen seine Darbietung bestens gelingen wird.

Konzert der Straßburger Philharmonie OPS

Johannes Brahms – Violinkonzert in D-Dur
Dimitri Schostakowitsch – 10. Symphonie

Dirgent: Krzyszof Urb疣ski
Geige: Augustin Hadelich

Palais de la Musique et des Congrès

DO 7. Dezember, 20 Uhr

Infos und Tickets gibt es HIER!

Konferenz vor dem Konzert (auf Französisch)

Elisabeth Brisson über Schostakowitschs Zehnte als Ausdruck der Einmaligkeit
19 Uhr im Marie-Jaëll-Saal im PMC, Eintritt frei

Folgendes Konzert der OPS:

Das große Weihnachtskonzert mit Mozart und Poulenc
Sänger und Chor der Philharmonie
DO 14. Dezember

Und natürlich nicht zu vergessen: Das Sylvester- und Neujahrskonzert an den einschlägig bekannten Daten. Einmal am letzten Tag des Jahres um 20 Uhr und am folgenden ersten Tag des Jahres um ausschlaffreundliche 17 Uhr.

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