Polifemo – Verliebter Zyklop in der Rheinoper

Ein knappes Jahr nach der Aufführung einer der ersten Opern überhaupt wagt sich die Straßburger Rheinoper an die französische Erstaufführung eines Schlüsselwerkes des Barocks vom kompositorischen Gegenspieler von Georg Friedrich Händel in London, Nicola Porpora.

Die einäugigen Zyklopen werden immer trauriger - ausgestorben zwar, aber immerhin auf der Bühne der Rheinoper wieder zum Leben erweckt - und damit fast 300 Jahre nach ihrer ersten Erweckung nun endlich auch in Frankreich. Foto: Illustration von Paul Lanners, OnR

(Michael Magercord) – Opern haben nicht nur eine musikalische Geschichte, sondern ebenso eine wirtschaftliche. Die kann manchmal ziemlich spannend sein, ist sie doch ebenso intrigenreich und voller Höhen und Tiefen wie das Bühnenwerk selbst. Zumal, wenn sie in London spielt, dem Hort des Kapitalismus in Europa, in dem die auf Italienisch gesungenen Abenteuergeschichten aus dem antiken Griechenland bares Geld wert waren. Für Opernkomponisten hatte sich im beginnenden 18. Jahrhundert eine Odyssee nach England sehr gelohnt. Zumindest, wenn sie sich in der abenteuerlichen Welt des Show-Business zu bewähren wussten.

Es war das England des King Georg II., dem zweiten König aus dem Haus Hannover, Gründer der Universität Göttingen, Namensgeber des US-Bundesstaates Georgia und opernverrückter Förderer von Georg Friedrich Händel, der in London auf Betreiben des Königs das „King Theatre at the Haymarket“ mit seinen Opern als erste Bühne Englands platzieren konnte und zu einem florierenden Geschäft machte. Wäre da nicht der renitente älteste Sohn Georgs, der Prince of Wales Friedrich Ludwig, genannt Fritz, gewesen. Dieser Fritz wollte seinem Vater beweisen, dass er noch Großartigeres auf die Bühne stellen konnte. Er gründete die „Opera of the Nobility“ und engagierte den seinerzeit berühmtesten Gesangslehrer aus Neapel, Nicola Porpora. Ihn beauftragte der Prince mit eigenen Kompositionen, doch wichtiger noch waren Fritz die Verbindungen des Italieners zu den ganz großen Stars der Gesangsszene, die Porpora da selbst ausgebildet hatte.

Dieser Porpora nun erfuhr über gewisse Kanäle, dass Händel gerade an dem antiken Stoff über die Homersche Odyssee dran war. Da entschloss er sich, dem Deutschen zuvorzukommen, und schrieb eine Opera Seria über den verliebten Zyklopen Polyphemus mit Texten von Homer und aus der Metamorphose des Ovid. Und tatsächlich kam er Händel damit zuvor. Außerdem konnte das bauernschlaue Management von Prinz Fritz sogar das Heumarkt-Theater, das doch der angestammte Spielort der Truppe des Königs war, hinterrücks für die Aufführung anmieten. Aber noch bedeutender: Der wohl größte aller Kastratensänger, Farinelli, einst Schüler von Porpora, wurde für die Hauptrolle gewonnen.

Die Uraufführung von „Polifemo“ wurde im Oktober 1735 ein Riesenerfolg, die Melodien der Arien trällerten durch die englische Hauptstadt. Doch schon nach elf Aufführungen erkrankte der Superstar, das Stück musste bereits im November abgesetzt werden und wurde danach kaum mehr aufgeführt.

Dabei hat es das Werk in sich: Eine große Erzählung von allseits bekannten Männern, vom schlauen Odysseus bis zum etwas einfältigen einäugigen Zyklopen, und auf ihre Weise starken Frauen, die uns vor allem in ihrer unsterblichen Variante als Nymphen begegnen und vielleicht nicht nur den Bühnenfiguren den Kopf verdrehen werden. Das alles zur Musik einer Opera Seria, in der sich kurze erklärende Sprechgesänge mit großen Solo-Arien ihrer Zeit ablösen.

Während es allerdings auf der Bühne schließlich doch einen siegreichen Helden geben wird, der durch die Schläue, sich als „Niemand“ auszugeben, den klobigen Widersacher überwinden kann, gab es im Opernkrieg von London schließlich nur Verlierer. Die Konkurrenz belebte sicher zunächst das Geschäft. Händels Management setzte auf eine Diversifizierung der Show und baute zunehmend aufwendige szenische Elemente, wie Ballett und Lichteffekte, in Händels Opern ein. Porpora vertraute weiter auf die Topleute der Gesangselite. Beide Unterhaltungsunternehmen gaben ihre durchaus üppigen Einnahmen für teuren Bühnenschnickschnack und die Gagen für vermeintlich immer größere Stars aus. Schon bald verschuldeten sie sich immer mehr und schließlich waren beide ruiniert.

Händel erkrankte und floh nach der Pleite seiner Oper zur Kur nach Aachen, gesundete schnell und verlegt sich auf die Komposition der in England beliebten und gut bezahlten Oratorien für große festliche Anlässe. Porpora verließ London endgültig, versuchte zunächst sein Glück in Dresden und Wien, bevor er nach Neapel zurückkehrte, wo er sich noch einmal – allerdings erfolglos – mit einer Oper zurückmeldete, um sich danach ganz aus dem Musikgeschäft zurückzuziehen.

Aber wie gesagt, auf der Bühne geht es in „Polifemo“ auch heute immer noch zur schönen Sache, von all dem Händel mit Händel wird dort nichts zu hören sein, sondern überraschend frische Musik aus einer vielleicht eben doch gar nicht so fernen Zeit.

Zeit also, dieses Werk nun endlich zum ersten Mal auch in Frankreich zu präsentieren, zumal es in Straßburg, Mülhausen und Colmar dargeboten wird, von den besten Barockmusikern und Sängern wiederum unserer Zeit. Und seien Sie gewiss: Zu diesen unseren Zeiten sind es die gebildeten Falsettstimmen von Kontertenören, die die hohen Noten ganz ohne die damals eingeforderte körperliche Versehrtheit hervorbringen. Ob allerdings die Welt des Show-Business deshalb heutzutage eine humanere ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Polifemo

Opera Seria von Nicola Porpora aus dem Jahr 1735

Französische Erstaufführung.

Dirigentin: Emmanuelle Haïm

Regie: Bruno Ravella

Musik: Le Concert d’Astrée


Opéra
Straßburg

MO 5. Februar, 20 Uhr

MI 7. Februar, 20 Uhr

FR 9. Februar, 20 Uhr

SO 11. Februar, 15 Uhr

 

La Sinne – Mülhausen

SO 25. Februar, 15 Uhr

DI 27. Februar, 20 Uhr

 

Théâtre MunicipalColmar

SO 10. März, 15 Uhr

Tickets und Information: www.operanationaldurhin.eu


Weitere Veranstaltungen der Rheinoper:

Korngold“ – Liedermatinee

Lieder und Erzählung über das Leben des Austro-US Komponisten Erich Korngold

SA 17. Februar, 11 Uhr, Opera Straßburg

MI 21. Februar, 12.30 Uhr, Colmar Theaterfoyer

Les Fantasticks“

Amerikanisches Musical von Harvey Schmidt aus dem Jahr 1960

Empfohlen für Kinder ab 8 Jahren

SO 18. und DI 20. Februar in Colmar

MI 13. und DO 14. März in Mülhausen

und ab MI 20. März 4 x in Straßburg, Théâtre Hautepierre

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