Das französische Patt

Die französische Regierung und eine völlig chaotische Randale-Bewegung lähmen das Land. Doch trotz aller Lust an der gewalttätigen Randale wird es irgendwann einen Weg aus dieser Krise heraus geben müssen.

Inzwischen geht es nur noch darum, sich mit dem "Übervater Staat" zu prügeln. Das könnte ganz übel ausgehen. Foto: ScS EJ

(KL) – Dieses Mal war es kein Samstag, sondern ein Mittwoch. Der 1. Mai, traditioneller Tag der Mai-Demonstrationen der Gewerkschaften, verwandelte sich gestern in Paris in den nächsten „Akt“ der Gelbwesten, die gemeinsam mit ihren Freunden des Black Block und einiger rechtsextremer Schläger die Gewerkschafts-Demo faktisch kaperten. Dies zeigt zwei Dinge – die wachsende Bedeutungslosigkeit der Gewerkschaften in Frankreich und die Tatsache, dass sich die Gewaltwelle der Gelbwesten nicht von selber regeln wird. Nur – was tun?

Innerhalb einer Woche, von Samstag bis Samstag, wird Frankreich drei Gelbwesten-Akte erlebt haben. Letzten Samstag gab es die „nationale und internationale Mobilisierung“ für Akt 24 in Straßburg, gestern die „freundliche Übernahme“ der Gewerkschafts-Demonstrationen mit heftigen Auseinandersetzungen in Paris (über 300 Festnahmen, rund 40 Verletzte auf beiden Seiten) und am kommenden Samstag dann Akt 26, bevor für den 8. Mai, der in Frankreich als Feiertag das Ende des II. Weltkriegs gefeiert wird, soll es die „weltweite Mobilisierung“ für Akt 27 geben. Frankreich kommt nicht zur Ruhe.

In der seit November über das Land schwappenden Welle der Gewalt haben viele Franzosen vergessen, was eine Demokratie ist. In einer Demokratie hat tatsächlich jeder das Recht unzufrieden zu sein, und dies auch zu äußern. Und wenn man in einer Demokratie etwas verändern will, dass engagiert man sich in einer Partei, oder man gründet eine Partei oder man geht wenigstens wählen. Die Ablösung eines Präsidenten oder Regierungschefs ist in einer Demokratie jederzeit möglich, wenn dafür bestimmte verfassungsrechtliche Kriterien erfüllt sind, nicht aber, weil eine Handvoll gewalttätiger Randalierer dies auf der Straße grölt.

Die Schäden, die durch diese sich steril wiederholenden Gewalt-Demonstrationen verursacht werden, sind enorm. Dabei sind die Schäden nicht nur materiell, sondern werden auch durch einen tiefen Riss, der durch die französische Gesellschaft geht, weiter verstärkt. Es wird Jahre dauern, bis es wieder so etwas wie sozialen Frieden in Frankreich gibt.

Erstaunlich, wie sich die Gewerkschaften in Paris den Gelbwesten und Black Blocks unterwarfen. An der Spitze der Gewerkschafts-Demonstration zogen die Gelbwesten und offenbar kam es den Gewerkschaften, in erster Linie der CGT, nicht in den Sinn, die Damen und Herren in Gelb und Schwarz aufzufordern, doch bitte ihre eigene Demonstration zu machen. Das Katzbuckeln vor den Gelbwesten wird den Gewerkschaften allerdings nicht viel Sympathien einbringen.

Die Frage, die sich stellt, ist einfach: Wie kann man diese Gewaltwelle eindämmen? Da man bei den Gelbwesten weder mit Verhandlungspartnern noch mit Vernunft rechnen kann, läuft alles auf eine Eskalation der Gewalt hinaus. Und da man das Land nicht einfach einer Gruppe randalierender Schläger überlassen kann, die nicht einmal 0,1 % der Bevölkerung ausmachen, wird dem Staat nicht viel anderes übrig bleiben, als sein Gewaltmonopol zu nutzen.

Die bis heute andauernde Weigerung der Gelbwesten, sich zu organisieren und damit als Verhandlungspartner für den sozialen Frieden fungieren zu können, bricht den Gelbwesten nun langsam das Genick. Da es ihnen offenbar nicht mehr um Inhalte geht (und das ewige „mehr Kaufkraft!“ und „Macron – Rücktritt“ kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Gelbwesten in einem halben Jahr nicht in der Lage warten, klar formulierte Forderungen zu entwickeln und eine Struktur, mit der man solche Forderungen verhandeln und durchsetzen kann), liegt die Folgerung auf der Hand, dass es ihnen nur noch um Randale, Gewalt, Chaos und den Sturz des Staats geht. Was aber soll ein Staat machen, dessen Repräsentanten demokratisch gewählt wurden, wenn er derart angegriffen wird und sich die Angreifer jedem Dialog entziehen? Welche anderen Möglichkeiten als die gewaltsame Unterdrückung dieser Revolte bleiben dem Staat?

Es ist unwahrscheinlich, dass es sich der französische Staat leisten kann, weiter den Gewaltexzessen an Samstagen und Feiertagen zuzuschauen. Die Polizeieinsätze kosten ein Vermögen (alleine gestern waren in Paris über 7000 Polizisten im Einsatz), das Land ist heute bereits tief gespalten, die materiellen Schäden sind enorm und Frankreichs Image hat sich innerhalb weniger Monaten von dem des „Hoffnungsträgers Europas“ zum „kranken Mann der EU“ entwickelt. Es ist offensichtlich, dass die Regierung die Situation nicht im Griff hat, und es ist ebenso offensichtlich, dass dies genau im Interesse derjenigen ist, die versuchen, die Gelbwesten für ihre Zwecke zu missbrauchen – die Links- und Rechtsextremen, die mittlerweile das Wort bei den „Akten“ führen, versuchen nicht einmal, ihre extremistischen Gesinnungen und Absichten zu verstecken.

Es ist ein Wunder, dass es außer den 11 Todesopfern an den Verkehrskreiseln zu Beginn dieser Unruhen bisher keine Toten bei den „Akten“ gab. Die Härte der Auseinandersetzungen ist enorm und auch, wenn viele gerade „Polizeigewalt!“ schreien, so muss man sich die Frage stellen, wie sich denn die Polizei verhalten soll, wenn plündernde und brandschatzende Gewalttäter sie mit kiloschweren Steinen bewerfen. Diesen Staatsfeinden die Straße überlassen?

Frankreich manövriert sich immer weiter in die größte Krise der V. Republik hinein. Und offenbar legen es sowohl die Gelbwesten als auch die Regierung darauf an, dass es irgendwann zu einem gewaltsamen Ende kommt. Dabei darf man leider nicht mehr auf Vernunft hoffen, weder auf der einen, noch auf der anderen Seite. Somit sind wir in einem gesellschaftlichen Patt angekommen, in dem sich niemand mehr bewegen kann. Wie angesichts der aktuellen Entwicklung ein solches gewaltsames Ende aussehen wird, mag man sich nicht vorstellen.

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