Zynismus und Demokratie

Vom 7. bis 9. November fand das „Weltforum der Demokratie“ als Veranstaltung des Europarates und der Stadt Straßburg statt. Thema für die jungen Delegierten: Bildung als Grundlage der Demokratie. Doch schon am Eröffnungstag stellte sich die Frage, ob nicht ein realistischer Zynismus die Demokratie eher bewahren kann?

Sakena Yacoobi und Colin Crouch beim Weltforum für Demokratie - hier begegnen sich Welten... Foto: MM / Council of Europe 2016

(Von Michael Magercord) – Ein desillusionierter Brite und eine optimistische Afghanin trafen gleich am ersten Tag des Weltforums für Demokratie im großen Saal des Europarates auf die Versammlung von auserwählten, jungen Erwachsenen aus aller Welt.

Es war, als wäre damit die alte, etablierte Demokratie des Westens auf Gesellschaften getroffen, die sich gerade auf den Weg zur Demokratisierung gemacht haben. Und das alles vor Menschen, die sich irgendwo zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin und her gerissen fühlen müssen, wenn sie auf den derzeitigen Zustand von beiden blicken: sowohl den traditionellen Demokratien, als auch den traditionellen Gesellschaften.

Wie viel Bildung braucht Demokratie? Oder liegt es umgekehrt? Colin Crouch und Sakena Yacoobi saßen nebeneinander auf dem Podium. Der Politikwissenschaftler aus England ist Autor von Büchern wie „Postdemokratie“ und „Kapitalismus fit machen für die Gesellschaft“, worin er die aktuelle westliche Demokratie als Scheingebäude und Wahlen als Beruhigungspille entlarvt. Er verweist darauf, dass ausgerechnet in den entwickelten Ländern, wo die Schulbildung zum Pflichtprogramm gehört, der Zweifel an der praktizierten Demokratie wächst und populistische Strömungen in Windeseile um sich greifen.

Eine junge Teilnehmerin aus dem hochentwickelten Norden Europas wird es später so ausdrücken: „Ich habe in der Schule so wunderschöne Dinge gehört von Partizipation und Teilhabe, aber die Welt da draußen ist eine ganz, ganz andere“. Und Colin Crouch wiederum fasst das Dilemma zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu der Handlungsanweisung zusammen: Man müsste wenigstens versuchen, die populistisch entfachten Leidenschaften auf etwas zu richten, wo es keinen Schaden anrichtet – aber worauf?

Mister Crouch ist netter, umgänglicher Mensch, in dieser Runde allerdings wirkt er unfreiwillig zynisch. Etwa, wenn er einem verzweifelten jungen Mann aus Tunesien, der die berufliche Perspektivlosigkeit von Hochschulabsolventen beklagt, entgegnet: Ja, es gibt eben in den Ländern des Südens viel, völlig überflüssig Hochgebildete, denen sich aufgrund der wirtschaftlichen Realitäten keine entsprechenden Jobs bieten. Und schon fast, als glaubte er selber nicht daran, dass seine Botschaft die Frustrierten überhaupt erreicht, schiebt er wie zum Trost nach: Ihr werdet mit euren formalen Bildungsabschlüssen reich werden, aber immerhin könne Bildung doch ein wenig Spaß machen und vielleicht sogar auch Leidenschaft für die Kultur wecken.

Das Kontrastprogramm bot Sakena Yacoobi aus Afghanistan. Die Vorsitzende des „Afghan Institut of learning“ in Herat berichtete nicht nur darüber, wie sie gegen alle Widrigkeiten Mädchen zur Schule verhilft, sondern hielt ein flammendes Plädoyer für Bildung als Fundament von Toleranz, Mitbestimmung und schließlich Demokratie – und ihr feuriger Appell hat den jungen Menschen im weiten Rund des Sitzungssaales scheinbar ganz aus dem Herzen gesprochen. Doch was drückt ihr stehender Applaus für die resolute Frau mit dem strengen Kopftuch aus? Eine tiefe Sehnsucht der jungen Elite nach einer klaren Handlungsanweisung mit Zielgarantie?

Der versammelten Jugend lässt sich aber vielleicht doch noch eine Erkenntnis aus den ziemlich desolaten, alten Demokratien des Westens mit auf den Weg geben. Denn bei aller Leidenschaft für so wunderbare Dinge wie Freiheit, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung: Ein wenig realistischer Zynismus kann nämlich auch heilsam sein und dagegen vorbeugen, dass aus den Hoffnungen von heute nichts weiter als die Enttäuschungen von morgen werden, die wiederum doch nur Leidenschaften hervorriefen, die das Gegenteil von dem erreichen, was sie einmal erweckt hatte.

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